Koboldland

Im Regenbogen-Dinosaurier-Land
Eine Hase & Drache Geschichte von Simon Heese

Der Hase saß am Esstisch in der Küche und ließ die Ohren hängen. Eigentlich malte er ein Bild, aber er hatte ziemlich schnell aufgehört und saß nun einfach nur da.

»Was ist los mit dir?«, fragte der Drache.

»Ich will ein Bild malen«, antwortete der Hase.

»Das kann ich sehen, aber wieso sitzt du dann nur da und malst nichts?«

Der Hase seufzte. »Ich will eine Hochzeit malen.«

»Das ist doch schön, wo ist das Problem?«

»Die Hochzeit ist mit einer Meerjungfrau«, erklärte der Hase und tatsächlich hatte er schon ein Gesicht und sehr hübsch grün-rote Haare gemalt.

»Sieht doch gut aus, wieso malst du nicht weiter?«, fragte der Drache.

Der Hase schwenkte vage den Stift in seiner Pfote. »Mir fehlt die richtige Farbe für die Schuppen.«

Der Drache wollte wissen, was für eine Farbe das denn genau ist, und der Hase erklärte ihm, dass es ein schillerndes Rosa-Blau-Grün sein muss, mit ein wenig Silberglanz, aber natürlich unter Wasser.

»Kannst du das nicht einfach mit verschiedenen Farben malen? Also, so mit Grün und Rosa und Glitzerstift für den Glanz?«, schlug der Drache vor.

Der Hase schüttelte energisch den Kopf. »Nein, das kann man nicht so machen. Die Farbe muss ›schuppenschillernd‹ sein, das kann man nicht nachmachen.«

Das verstand der Drache. Aber nur weil man an einem Punkt in einem Projekt nicht weiter kommt, muss man ja nicht komplett aufhören, daran zu arbeiten. »Wieso malst du dann nicht erst einmal den Rest?«

»Weil die Hochzeit am frühen Morgen ist«, erklärte der Hase.

»Okay, dann mal doch schon die aufgehende Sonne«, schlug der Drache vor.

Wieder schüttelte der Hase den Kopf. »Die Hochzeit ist kurz vor Sonnenaufgang.« Offensichtlich hatte der Drache wirklich keine Ahnung von Kunst.

»Dann einen Himmel ohne Sonne?«, versuchte es der Drache weiter. Er verstand noch immer nicht, was das Problem war.

»Das geht nicht, weil ich keine Farbe für so einen Himmel habe.«

»Du hast kein Blau?!?« Der Drache sah zum Tisch, auf dem mindesten sechs verschieden blaue Stifte lagen.

Der Hase schaute den Drachen an, als hätte der sein Leben lang in einer Höhle gewohnt und so gar keine Ahnung, wie ein Himmel am Morgen aussieht. »Zu der Tageszeit ist nicht der Himmel doch nicht blau!«

»Nicht? Welche Farbe hat der Himmel denn? Pink?« Auf dem Tisch lagen auch mehrere pinke Stifte.

»Nein, nicht so richtig. Es ist ein zartes Rosa-Blau, aber kein Lila, sondern dazwischen und es hat eine leicht goldene Aura, weil die Sonne bald aufgeht, aber man sieht sie noch nicht. Also Rosa-Blau-Schimmergold.« So eine Farbe lag tatsächlich nicht auf dem Tisch.

»Fehlt noch eine Farbe?«, fragte der Drache, der langsam verstand, wieso sein Freund so niedergeschlagen war.

»Ja.«

»Lass mich raten, du brauchst noch einen Regenbogenstift, der alle Farben des Regenbogens auf einmal malen kann?«

»Nein, so einen habe ich ja.« Der Hase zeigte auf einen seiner Stifte. Der hatte tatsächlich verschiedene Farben auf einmal und man konnte mit ihm ziemlich schicke Regenbögen malen. Das war aber egal, denn auf dem Bild war die Sonne noch nicht aufgegangen und Regenbögen kann es nur geben, wenn die Sonne scheint, also konnte es auf dem Bild auch keine Regenbögen geben. Doch weil sich der Drache so lieb Sorgen machte, sagte der Hase das nicht.

»Also Regenbögen sind nicht das Problem?«, fragte sich der Drache, nur um sicherzugehen.

»Nein, aber so ähnlich. Also die Meerjungfrau heiratet einen Einhornkater und ich weiß nicht, wie ich das Fell malen soll«, erklärte der Hase.

»Welche Farbe hat das Fell denn?«

»Es ist schwarz.«

»Und du hast kein Schwarz?«

»Doch natürlich. Aber es ist halt ein Einhornkater. Das Katerfell ist schwarz, aber der Einhornanteil ist mehr so regenbogenmäßig. Ich brauche also ein Schwarz, das alle Farben des Regenbogens enthält. Ich hab aber nur normales Schwarz, das keine Farbe hat.«

Jetzt war der Drache selbst kurz davor, die Ohren hängen zu lassen. Das waren drei sehr komplizierte Farben und er verstand, dass man so ein Bild nicht malen konnte, ohne die richtigen Stifte zu haben.

Der Hase sah, dass sein Freund jetzt auch geknickt aus der Wäsche schaute und fügte daher schnell hinzu: »Aber mir fehlen wirklich nur diese drei Farben, sonst hab ich alles, was ich brauche.«

Das war doch eine gute Nachricht! Die Stimmung des Drachen wurde sofort wieder besser. »Wollen wir in den Bastelladen fahren und die Farben kaufen?«, schlug er vor.

Das konnte den Hasen leider nicht aufmuntern. »Lieb von dir, aber im Bastelladen verkaufen sie diese Farben nicht. Ich hab schon alle Sorten, die es dort gibt«, sagte er und zeigte auf seine Stiftekiste. Die Kiste war schon bis zur Kante voll mit Stiften in allen möglichen Farben. Viele davon konnte der Drache nur auseinanderhalten, weil sie verschiedene Nummern aufgedruckt hatten. Einen Unterschied zwischen »Rot 223« und »Rot 126« konnte er nicht wirklich erkennen. Der Hase hatte ihm aber erklärt, dass das ganz andere Rottöne seien. Seine Drachenschuppen wären zum Beispiel 223 Rot, zumindest, wenn er frisch gebadet war, in der Abendsonne und ungewaschen wäre es eher 126. Wenn es nach dem Drachen gegangen wäre, hätte 126 auch gereicht, denn er mochte die Abendsonne gerne. Baden mochte er weniger.

Was der Drache aber über überhaupt nicht abkonnte, war, wenn der Hase so unglücklich aussah. Deswegen machte er einen Vorschlag: »Na gut, wenn der Laden die Farben nicht hat, die du brauchst, dann müssen wir eben direkt beim Hersteller anfragen.«

»Wo werden Buntstifte denn hergestellt?«, fragte der Hase, der zwar für sein Leben gerne Bilder malte, aber sich noch nie gefragt hatte, wo seine Farben eigentlich herkamen.

»Das weißt du nicht? Die kommen natürlich aus dem Regenbogen-Dinosaurier-Land«, erklärte der Drache. Er war ja schon sehr viel älter als der Hase und hatte schon deutlich mehr von der Welt gesehen oder zumindest gehört.

Der Hase machte große Augen: »Echt jetzt? So was gibt es? Ich dachte, die kommen aus einer Fabrik oder so.«

»Ich denke schon, dass es das Land gibt. Meine Großtante war nämlich Künstlerin. Sie hatte mir einmal erzählt, dass man die besten Farben nur im Regenbogen-Dinosaurier-Land bekommt. Von da kommen alle Farben. In normalen Geschäften verkaufen sie aber nur die Standardfarben. Die wirklich abgefahrenen liefern sie nicht aus und man muss sie vor Ort kaufen. Deine Farben klingen so, als wären das auch so welche.«


Damit war klar, was die beiden zu tun hatten: Sie mussten unbedingt zum Regenbogen-Dinosaurier-Land fliegen, um die Farben für das Hochzeitsbild zu kaufen, nämlich schuppenschillerndes Rosa-Blau-Grün, Rosa-Blau-Schimmergold und Regenbogen-Schwarz.

Der Drache machte also die Rakete startklar. Zum Glück war noch genug Holz da und es gab nicht viel zu tun. Noch einmal alle Fenster überprüfen, Leitwerke checken und einen Tropfen Öl für das Gyroskop, fertig.

Der Hase räumte seine Buntstifte weg und drehte den Küchentisch um. Auf dessen Rückseite waren nämlich die ganzen Knöpfe des Navigationssystems. »Bin bereit!«, sagte er, »Welche Koordinaten soll ich eingeben?«

Das wusste der Drache nicht. Seine Großtante hatte keine Rakete mit Navigationssystem. Sie hatte nur von den tollen Farben erzählt und dass es in dem Land noch viele Dinosaurier gab. Drachen sind ja sehr entfernt mit Dinosauriern verwandt. Der Unterschied ist vor allem, dass Drachen ein wenig magisch sind und Dinos Angst vor großen Steinen haben, die aus dem Himmel fallen. Deswegen gab es im Koboldland nur noch Drachen, aber keine Dinosaurier.

»Also, es muss weiter weg sein, wenn es dort Dinosaurier gibt«, sagte der Hase. Nachdenklich schaute er auf die kunterbunten Knöpfe seiner Steuerkonsole. Er hatte sie selbst entworfen und wirklich alle Farben verwendet, die er hatte. Moment, Regenbogen-Dinosaurier-Land … Regenbogen! Der Hase hatte eine Idee: »Wie wäre es, wenn ich einfach alle Knöpfe auf einmal drücke? Die haben doch jede Farbe! Vielleicht ergibt das dann die Koordinaten vom Regenbogenland?«

Der Drache runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, dass das so funktioniert.«

»Also ich finde die Idee super!«, sagte eine orange Katze, die auf dem Fensterbrett saß, »die ist so bescheuert, dass es eigentlich funktionieren müsste.«[1]

Der Hase fand das gut und fing sofort an, die Knöpfe vor ihm zu drücken. »Siehst du, die Katze findet auch, dass wir das machen sollten.«

»Machst du immer alles, was Katzen sagen?«, fragte der Drache, »außerdem, wo kommt die auf einmal her? Ich denke nicht, dass wir auf sie hören sollten.«

Aber es war schon zu spät, der Hase hatte bereits alle Knöpfe gedrückt. »Koordinaten sind eingegeben. Flieg los!«, sagte er und hopste vor lauter Vorfreude auf seinem Stuhl auf und ab.

»Ja, worauf wartest du?«, fragte die Katze frech und verschwand genauso unvermittelt, wie sie aufgetaucht war.

Dem Drachen war das nicht geheuer, aber er wollte den Hasen auch nicht wieder traurig machen. Also startete er die Rakete und sie flogen los.


Der Flug dauerte eine Weile, aber nicht so lange, wie der Drache befürchtet hatte. Einfach alle Knöpfe zu drücken, führt fast immer zu Chaos und die Maschine, der die Knöpfe gehören, piept meistens nur hilflos, statt etwas Sinnvolles zu machen. In diesem Fall hatte das Navigationssystem aber nicht gepiept, sondern einfach eine Route berechnet. Jetzt waren sie jedenfalls, wo auch immer das Navi sie hingeführt hatte, angekommen und landeten.

Aufgeregt rannte der Hase zur Haustür und stürmte raus. Der Drache war etwas vorsichtiger und schaute erst einmal aus dem Fenster. Also, wenn das ein Regenbogenland sein sollte, war es enttäuschend grau. Gefährlich sah es aber nicht aus, eher langweilig. Der Drache seufzte und folgte dem Hasen.

Der Hase stand schon enttäuscht vor der Rakete. »Hier ist es aber ganz schön grau«, stellte er fest.

»Ja, habe ich auch schon gedacht«, sagte der Drache.

Die Rakete war auf einem schlichten Platz gelandet, der mit grauen Steinen gepflastert war. Um den Platz herum standen langweilige Gebäude, vielleicht Büros oder so, jedenfalls sehr farblos. Auf einer Bank, die neben einem mickrigen Baum stand, saß ein Mann in einem grauen Anzug und aß ein blasses Brötchen, während er in sein Handy schaute. Ein paar graue Tauben warteten ungeduldig, dass von dem Brötchen etwas auf den Boden fiel. Ansonsten war nichts los.

»Da hinten ist ein bunter Imbisswagen, vielleicht weiß der Verkäufer, ob wir hier richtig sind«, schlug der Hase vor. Der Wagen war tatsächlich der einzige Farbtupfer weit und breit. Er war grün-weiß und pink angemalt, auf dem Dach hatte er einen riesigen Gummi-Hotdog und ein roter Neon-Schriftzug verriet, dass der Imbiss »Benno’s Würstchenbude« hieß. Der Hase und der Drache gingen hinüber zum Hotdog-Wagen.

»Hallo, bist du Benno?«, fragte der Hase.

Der Würstchenverkäufer war eine Verkäuferin und sie lachte. »Nein, ich bin nicht Benno. Benno ist mein Hund. Ich bin Jenny. Wollt ihr einen Hotdog?«

Der Drache schaute hoch zum Neonschild. »Wieso nennst du deinen Imbiss ›Benno’s Würstchenbude‹, wenn du Jenny heißt?«

Die Verkäuferin lachte wieder. »Wieso denn nicht? Benno liebt Würstchen und ich liebe ihn.«

»Wo ist dein Hund?«, fragte der Hase, der gerne mit Hunden um die Wette rannte, aber keine Würstchen mochte – also zumindest keine aus Fleisch, denn er war ja Vegetarier.

»Benno pennt hinter dem Wagen«, sagte Jenny, »er darf hier nicht mehr rein, sonst schimpft wieder das Gesundheitsamt.« Sicherheitshalber fügte sie noch schnell hinzu: »Hier ist also alles tip top sauber, keine Sorge. Wollt ihr nun was Essen?«

»Nein, wir brauchen Buntstifte, ist hier das Regenbogen-Dinosaurier-Land?«, sagte der Hase, der gerade keinen Hunger hatte und auch keine Lust auf ein Wettrennen mit einem Hund.

Jenny war offenbar ein sehr fröhlicher Mensch und kicherte schon wieder. »Lasst mich raten: Ihr habt bei eurem Navi einfach alle bunten Knöpfe gedrückt, richtig?«

»Woher weißt du das?«, fragte der Hase verblüfft. Wie eine Hexe sah die Würstchenverkäuferin eigentlich nicht aus.

Die Erklärung war aber ganz einfach, also ohne magischen Kristallkugeln oder Hellseherei und so. »Hier kommen immer mal wieder Leute vorbei, die dieses Dinoland suchen. Komischerweise hat jeder die Idee, alle Farben auf dem Navi zu drücken und dann landen sie hier bei mir. Ihr seid schon die zweiten diese Woche. Hab ihr vielleicht auch so eine orange Katze gesehen?«

»Ja haben wir! Und ich hatte gesagt, dass wir nicht auf sie hören sollen«, sagte der Drache. Er schaute zum Hasen und zog die Augenbrauen hoch.

Jenny nickte. »Ja, diese Katze scheint damit zu tun zu haben. Andere haben die auch gesehen. Wollt ihr vielleicht die richtige Adresse haben?«

»Ja klar! Hast du die denn?«

Jenny grinste. »Ja, hab ich. Nachdem hier der fünfte danach gefragt hatte und ich nicht helfen konnte, hab ich die richtige Adresse im Internet gesucht.« Sie kramte in einer Schublade und holte einen zerknitterten Zettel hervor. »Hier, das ist die Adresse. Ihr könnt den Zettel behalten, ich habe gleich mehrere ausgedruckt.«

Der Hase freute sich riesig: »Danke, das ist ja total nett von dir! Wenn du magst, mal ich dir auch mal ein Bild.«

Jenny fand das Angebot des Hasen ziemlich süß. »Klar, gerne. Vielleicht eins von Benno. Das würde mir gefallen.«

Abgemacht, der Hase würde ein Hundebild für die Würstchenverkäuferin malen. Ehrensache. Aber zuerst brauchte er die Farben für das Hochzeitsbild, das war ja schon angefangen. Am liebsten wäre er auch direkt weiter geflogen, doch der Drache wollte noch gerne was essen.

Also machte Jenny einen großen Hotdog für den Drachen mit extra viel scharfer Soße. Dem Hasen war klar, dass es nicht bei einem Hotdog bleiben würde, denn sein Freund hatte immer viel Hunger, besonders wenn das Essen richtig scharf war. Chili ist nämlich gut für das Drachenfeuer. Also nutzte er die Zeit und ging hinter die Imbissbude, um kurz Benno »Hallo« zu sagen. Der Hund war allerdings ziemlich verpennt und wenig gesprächig, aber wenigstens wusste der Hase jetzt genau, wie Benno aussah, für das versprochene Bild.

Währenddessen aß der Drache noch zwei bis vier weitere »Extreme-Chili-Dogs«, dann war er endlich satt und sie konnten weiterfliegen.


Mit der richtigen Adresse von Jenny war es leicht, das Navigationssystem zu programmieren. »Neues Ziel: Regenbogen-Dinosaurier-Land«, sagte das Navi.

»Halt Moment, ich hab dir doch nur die Koordinaten gegeben. Wusstest du etwas schon die ganze Zeit, wo das Land ist?«, fragte der Hase das Navi.

»Natürlich«, antwortete das Navigationssystem, »aber ich bin nur ein Navi, ich werde nicht fürs Mitdenken bezahlt.«

Na toll. Aber egal, so hatte der Drache wenigstens scharfe Würstchen bekommen und sie hatten Jenny kennengelernt. Also Schwamm drüber.

Der Drache wollte schon wieder die Rakete starten, da tauchte die orange Katze erneut auf. »Na, habt ihr jetzt die richtige Adresse bekommen?«, fragte sie und grinste. Sie wusste schon, dass es geklappt hatte, tat aber so, als hätte sie keine Ahnung.

»Ja, haben wir. Sag bloß, du hast die richtige Adresse auch schon gekannt?« Der Drache kam sich ein wenig veräppelt vor.

Die Metakatze schaute so unschuldig, wie es nur Katzen können. »Nein, ich kannte die Adresse nicht, aber ich dachte mir schon, dass es ein spannender Umweg werden könnte«, gab sie zu. Und das war sogar die Wahrheit.

»Aha«, grummelte der Drache, dem es nicht gefiel, wenn diese bunten Katzen auftauchten. Sie hatten immer etwas zu meckern oder schlaue Sprüche drauf, aber Hilfe bekam man von ihnen nicht wirklich. »Können wir dann losfliegen?«, fragte er leicht ungeduldig.

»Klar, lasst euch von mir nicht aufhalten«, sagte die Katze und verschwand wieder.

Der Drache schnaubte genervt und musste direkt den Feuerlöscher holen. Das viele Chili hatte sein Feuer wirklich in Fahrt gebracht und er musste etwas aufpassen. »Entschuldigung, ich sollte nicht so scharf essen«, sagte er nur und dann startete er endlich die Rakete.


Der Flug dauerte jetzt deutlich länger als bis zum Hotdog-Stand. Das Regenbogen-Dinosaurier-Land ist so weit entfernt in Raum und Zeit, dass es die beiden ohne ihre Rakete niemals erreicht hätten. Der Drache musste mehrmals Holz nachlegen und ließ den Hasen oft beim Kartenspiel gewinnen. Der Hase war nämlich ein schlechter Verlierer und hatte keine Lust zu spielen, wenn er nicht gewann. Dem Drachen machte das aber nichts aus und so freute sich der Hase sehr, ganz oft knapp gewonnen zu haben.

Irgendwann meldete sich dann das Navi: »Nach der nächsten Kurve haben Sie Ihr Ziel erreicht.« Puh, das wurde aber auch Zeit.

Sie landeten die Rakete und der Drache sah wieder aus dem Fenster. »Hase, ich glaub’, jetzt sind wir richtig!«, rief er sofort. Das Land um sie herum war nämlich kunterbunt. Der Himmel war blau, rosa, orange, gelb und rot, alles auf einmal. Obwohl es gar kein Herbst war, hatten die Bäume von Grün bis Rot alle möglichen Farben, die es dazwischen gab. Sogar die Steine waren nicht grau, wie sonst, im Gegenteil! Sie hatten alle Farben, die man sich vorstellen konnte, und sahen eher aus, wie große und kleine Ostereier.

Der Hase warf eine Sekunde lang einen Blick aus dem Fenster, dann rannte er zur Tür und sprang hinaus. »Das ist ja wunderbar!«, rief er total aufgeregt, »hier ist es ja noch schöner, als ich es je geträumt hätte!« Er hüpfte von einem Stein zum nächsten und sammelte so lange bunte Kiesel, bis beide Pfoten voll waren. »Schau mal, Drache, so viele Farben!«, rief er und zeigte die Fundstücke seinem Freund, der in der Zwischenzeit auch ausgestiegen war.

Der Drache schaute sich die Steine ausgiebig an und musste zugeben, dass sie sehr hübsch aussahen und unglaublich viele Farben hatten. »Also zumindest für die Steinchen hat sich die Reise gelohnt«, sagte er schließlich und sah sich um. »Jetzt müssen wir nur noch wen finden, der Malstifte macht.«


Rund um ihren Landeplatz war niemand zu sehen. »Lass uns ein Stück gehen, vielleicht finden wir ja wen«, schlug der Drache vor, »du kannst ja noch ein paar Steinchen finden.«

»Gute Idee, ich hol noch schnell ein Körbchen, ja?«, sagte der Hase und huschte in die Rakete.

Sie gingen ziemlich weit durch die Landschaft und das Körbchen war null-komma-nix voll mit noch mehr bunten Kieseln. Doch außer Steinen und Pflanzen, schien es hier nicht viel zu geben.

Der Hase ließ schon wieder die Ohren hängen und der Drache wollte gerade vorschlagen, dass sie vielleicht nach Hause fliegen sollten, bevor es dunkel wird, da raschelte es neben ihnen im Gras.

Der Hase spitzte die Ohren. »Hast du das gehört? Da ist doch wer!«

Er folgte dem Geräusch und tatsächlich: Gut getarnt zwischen den farbenfrohen Steinen und Grashalmen saß ein kleiner, bunt gemusterter Dinosaurier und bemalte einen runden Kiesel.

»Hallo«, sagte der Hase und lächelte freundlich.

Der Dino sah sie an. »Äh, hallo«, sagte er und blinzelte nervös. Offenbar traf man hier nicht jeden Tag einen Hasen und einen Drachen. Er musterte die beiden Gäste und legte den Kopf schief. »Äh … wieso bist du bloß warmgrau und der große Typ ist einfach nur permanentkarmin? Sind euch die Farben ausgegangen?«

»Was meinst du?«, fragte der Drache, »ich bin doch rot und der Hase ist weiß!«

Der Dinosaurier machte ein gequältes Gesicht. »Nein, der Hase ist warmgrau und du permanentkarmin!«

Der Hase erkannte, dass diese Unterhaltung nicht viel bringen würde. »Er will, glaube ich, sagen, dass du eine feine Patina hast und man dich am besten mit Rot 126 malen würde, stimmts?«

Der Dino nickte eifrig. »Ja genau mit 126 Permanentkarmin. Das habe ich doch gesagt.«

Das reichte dem Drachen. »Okay, kapiert. Kannst du uns vielleicht sagen, wo wir hier Farben kaufen können? Wir brauchen nämlich etwas Ausgefallenes.« Er wurde langsam etwas ungeduldig, denn die Sonne ging bald unter und er wollte gerne weiter.

Der Dinosaurier musste etwas überlegen. Der große Rote hatte offenbar keine Ahnung von Farben, ihn könnte er einfach zum Souvenirshop für Touristen schicken. Sein kleiner grauweißer Freund schien schon mehr davon zu verstehen, also sagte er schließlich: »Äh, ich kaufe meine Farben bei Eddie Stegosaurus. Der hat eine gute Auswahl und faire Preise. Er wohnt auch gleich hinter diesem Hügel da.« Er zeigte auf einen sehr farbenfrohen Hügel, der überall sonst in der Welt jedem ins Auge gesprungen wäre, wie ein bunter Hund.[2] Regenbogen-Dinosaurier-Land schien aber einfach alles quietschbunt zu sein und hier fiel der Hügel von Eddie überhaupt nicht auf. Im Vergleich zu ein paar anderen Hügeln wirkte er sogar eher unauffällig.

»Super, das ist doch mal ein Tipp«, sagte der Drache und versuchte, dem armen kleinen Dinosaurier die Hand zu schütteln. Der wusste gar nicht, wie ihm geschieht. Eigentlich hatte er zu seiner Frau gesagt, dass er nur noch kurz raus geht, um eine neue Farbkombination auszuprobieren. Dass er dann zwei einfarbige Touristen trifft, konnte er ja nicht ahnen. Jedenfalls war er sehr erleichtert, als der Hase und der Drache endlich weiter zu Eddie gingen.


»Der kleine Dino war doch voll nett«, sagte der Hase, als sie sich verabschiedet hatten und in Richtung Hügel liefen.

»Hm, ja, schon«, sagte der Drache, »aber ich hatte das Gefühl, dass er uns nicht wirklich mochte. Hast du bemerkt, wie er sich gegruselt hat, als er dein Fell musterte? Und was soll das heißen, dass du grau bist? Du badest viel öfter, als ich, dein Fell ist gar nicht dreckig.«

»Ist mir aufgefallen. Aber die Sonne steht schon tief, da sieht mein Fell eben nicht perfekt weiß aus. Ich bin ihm da nicht böse.« Der Hase sah in Richtung untergehende Sonne. »Ich würde diesen Himmel sehr gerne malen. Wie machen die es, dass die Wolken so viele verschiedene Farben haben?«

Der Drache kicherte. »Ich dachte, dein Morgenhimmel für die Hochzeit wäre schon kompliziert, aber dass das hier noch zehnmal schwieriger ist zu malen, erkenne sogar ich!«

Zum Glück hatte der Hase nicht vor, ein neues Bild anzufangen, bevor das alte fertig war. Und so gingen sie weiter zum Hügel und genossen einfach nur die Aussicht.


Als sie beim Hügel ankamen, erkannten sie, dass es sich tatsächlich um einen Laden handelte. Im Hügel gab es nämlich eine – natürlich bunt bemalte – Tür und über der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift: »Eddie’s Farbenenpoirum.«

»Heißt das nicht ›Emporium‹?«, fragte der Hase.

Der Drache war sich nicht sicher, er hatte Französisch in der Schule und kein Latein. »Ist doch egal. Hauptsache, er hat die Farben, die du brauchst.«

Da hatte er natürlich recht, also betraten sie den Laden.

Drinnen war es überraschend hell, aber eng. Viele Dinosaurier sind ja eher groß, auch Stegosaurier. Deswegen hatte Eddie auch einen ganzen Hügel als Laden beziehungsweise eine große Höhle in einem Hügel. Es gab also reichlich Platz. Doch offenbar verkaufte Eddie auch sehr viele Farben, denn die ganze Höhle war vollgestellt mit hohen Holzregalen in die alle möglichen Dosen, Schachteln und Kästen mit Farben gestopft waren. Es gab Ölfarben, Aquarellfarben, Textilfarben, Steinfarben, Lebensmittelfarben, Fingerfarben, Fußfarben, Schuppenfarben, Druckertinten, bunte Tusche und sogar Glasfaserfarben.

»Dein Mund ist offen«, sagte der Drache.

Der Hase stand einfach nur da und schaute fassungslos von einem Regal zum nächsten. »Kannst du mich kneifen? Ich glaub’ ich träume«, sagte er schließlich und er klang auch so, als würde er träumen.

»Ist kein Traum, aber schau du dich gern in Ruhe um. Ich frage schon mal, ob die deine Spezialfarben haben, okay?«, schlug der Drache vor.

»Mhm.«

Also ließ der Drache den Hasen Farben stöbern und suchte Eddie, den Stegosaurus. »Hallo? Ist hier jemand?«, rief er.

»Ja, hier hinten«, kam die Antwort tiefer aus der Höhle.

Der Drache bahnte sich den Weg durch den Laden, bis er einen rundlichen Stegosaurus fand, der zwischen zwei Regalen auf dem Boden saß und gerade ein paar Pinsel sortierte. Die Panzerung des Dinos waren bunt bemalt, besonders seine Rückenplatten. Außerdem hatte er eine Lesebrille auf.

»Hallo, offenbar habe ich Kundschaft aus dem Ausland«, sagte Eddie und lächelte unsicher.

»Ja, wir sind mit unserer Rakete hergekommen. Mein Freund dort hinten braucht nämlich spezielle Farben«, sagte der Drache und deutete auf den Hasen, der noch immer fasziniert die vielen Regale untersuchte.

Der Stegosaurus musterte den Drachen. »Ich würde sagen, ihr könntet beide etwas Farbe gebrauchen.«

Das schon wieder. Der Drache wollte gerade schnauben, erinnerte sich dann aber zum Glück wieder daran, dass er Chili-Dogs gegessen hatte. In einem Farbenladen sollte man besser kein Feuer schnauben, weil viele Farben sehr leicht brennen. »Nein, äh, also die Farben sind nicht für uns selbst. Mein Freund … also der will ein Hochzeitsbild malen, so mit Buntstiften. Und ihm fehlen ein paar Farben, die man bei uns aber nicht kaufen kann.«

Eddie rückte seine Lesebrille zurecht. »Verstehe. Welche Nummern fehlen ihm denn?«

Die Nummern wusste der Drache natürlich nicht. Zum Glück erinnerte er sich noch ungefähr an die Farben. »Also, ein Rosa-Silber-Grün, das schuppenschillert. Dann war da ein zartes Rosa-Blau mit goldenem Schimmer für den Morgenhimmel ohne Sonne. Und Regenbogen-Schwarz für das Fell des Einhornkaters.« Der Drache war mächtig stolz, dass er sich alle drei Farben gemerkt hatte.

»Solche Farben führen wir nicht. Tut mir leid«, sagte Eddie.

Der Drache verstand die Welt nicht mehr. Sie waren doch im Regenbogen-Dinosaurier-Land! »Was heißt das, sie haben so was nicht? Sind die ausverkauft oder so?«

Eddie schüttelte den Kopf. »Nein, wir führen grundsätzlich solche Farben nicht. Was sie da beschreiben, sind unreine Farben. So was verkaufen wir hier nicht. Bitte entschuldigen sie.«

In der Zwischenzeit hatte sich der Hase durch die Regale gestöbert und war nahe genug, um den letzten Satz auch zu hören. »Was soll das heißen, sie haben solche Farben nicht? Die Großtante vom Drachen hat aber gesagt, dass man hier auch besondere Farben kaufen kann. Also alle, die man bei uns im Laden nicht bekommt.« Er hatte sich schon so darauf gefreut, sein Bild mit den richtigen Farben fertig malen zu können. Das durfte doch nicht wahr sein. Der ganze weite Weg – umsonst?

Dem Drachen kam das Verhalten des Verkäufers komisch vor. Er war sich auch sicher, dass seine Großtante damals echt schräge Farben benutzt hatte. Daher musste es hier so was irgendwo geben. Also beugte er sich etwas vor und flüsterte zu Eddie: »Ich kenne mich ja nicht aus, wie das hier bei Ihnen so läuft. Aber wenn solche Farben nur inoffiziell zu haben sind, wäre das schon okay.«

Der Stegosaurier machte schockiert einen Schritt zurück. »Was denken Sie denn? Dass wir unreine Farben heimlich unter dem Ladentisch verkaufen? So etwas machen wir nicht! Vielleicht sollten Sie erst einmal etwas korrekte Farbe in Ihr eigenes Leben bringen! Kommen hier einfach so in meinen Laden, einfarbig, wie Sie beide sind! Bitte gehen Sie jetzt!«

Hui, da hatte der Drache wohl einen wunden Punkt getroffen. Er versuchte noch, zu fragen, ob es vielleicht einen anderen Laden in der Nähe gäbe, doch das verärgerte Eddie nur noch mehr. Unfreundlich wiederholte er, dass sie sofort verschwinden sollen. Also verließen der Drache und der Hase das Farbenenpoirum, ohne einen einzigen neuen Stift gekauft zu haben.


»Satz mit X: war wohl nix«, sagte der Hase, als sie wieder draußen standen. Er war zwar etwas traurig, weil er weder die fehlenden Farben bekommen hatte, noch sonst etwas kaufen konnte, aber dieser Dinosaurier war echt unfreundlich gewesen. Und was sollten diese Kommentare, wegen ihrer Farbe? Er war eben weiß und der Drache rot. Na und?

Der Drache war ein wenig sauer und er spuckte Feuer in die Luft. »Ich mag mein Rot«, sagte er trotzig. »Und der Einzige, der meinen Farben Nummern geben darf, bist du!«

»Ach Drache. Ich mag dich doch mit jeder Farbe, egal welche Nummer die hat und wie lange du nicht baden warst.«

Da mussten beide lachen, denn manchmal badete der Drache ziemlich lange nicht.

»Wollen wir nach Hause fliegen?«, fragte der Hase, »ich mal einfach das Bild von Benno. Der hat zwar nicht viel gesagt, aber Jenny war sehr nett. Außerdem habe ich ja einen ganzen Korb mit bunten Steinen. Vielleicht bastel ich damit etwas.«

Der Drache schaute runter zu seinem kleinen Freund. »Ja ist gut. Tut mir leid, dass es nicht geklappt hat. Vielleicht war das früher hier anders, als meine Großtante noch gelebt hat. Soll ich vielleicht den Korb tragen? Es ist ein Stück zur Rakete.«


Also gingen sie ohne neue Buntstifte zurück zur Rakete. Der Drache trug den Korb mit den Schätzen des Hasen und beide unterhielten sich über die verschiedenen Malprojekte, die er in den nächsten Wochen geplant hatte. Sie waren ziemlich ins Gespräch vertieft und hatten die unfreundliche Begegnung mit dem Dinosaurier auch schon wieder fast vergessen. Da blieb plötzlich der Hase stehen.

»Was ist?«, fragte der Drache.

Der Hase lauschte mit seinen langen Ohren. »Warte mal, ich hab eben was gehört.«

Der Drache blieb auch stehen. Und tatsächlich, da war ein Geräusch: »Psst«, machte es. Und wieder: »Psst!«

»Ist da jemand?«, flüsterte der Hase. Irgendwie flüstert man automatisch, wenn jemand »Psst« macht.

»Ja, hier.« Die piepsige Stimme war ganz in der Nähe. »Im Gras.«

Es war schon halb dunkel geworden und nicht leicht, wen zu entdecken. Aber Tatsache, da saß eine Maus im bunten Gras. Und sie war mausegrau!

»Du bist ja eine Maus!«, sagte der Drache.

Die Maus zuckte zusammen. »Ja, bin ich. Aber sei nicht so laut, sonst hört uns noch ein Dinosaurier.«

»Wieso sollen die uns nicht hören?«, flüsterte der Hase.

»Weil die keine Mäuse mögen. Es ist besser, denen aus dem Weg zu gehen.«

Dass die beiden Dinos, die sie bisher getroffen hatten, nicht extrem freundlich waren, hatten der Hase und der Drache auch schon gemerkt. Aber wieso hatte die Maus solche Angst?

Der Drache beugte sich zur Maus runter, damit er besser flüstern konnte. »Gut, verstanden. Aber was machst du hier? Und wieso bist du nicht so bunt wie sonst alles in diesem Land?«

Die Maus sah sich noch einmal um, um sicher zu sein, dass kein Dinosaurier in der Nähe war. Es war keiner zu sehen. »Ich habe gehört, dass ihr …« Sie hielt kurz inne und schaute, ob wirklich niemand zuhörte, dann wisperte sie noch leiser: »… dass ihr verbotene Farben sucht.«

»Verbotene Farben?«, fragte der Drache.

»Pssst! Sag das nicht zu laut!« Die Maus sah sich wieder ängstlich um. Zum Glück hatte niemand den Drachen gehört. »Kommt am besten mit«, schlug sie dann vor, »bei mir zu Hause können wir normal reden.«

Und so folgten der Hase und der Drache der grauen Maus. Sie mussten ein Stück laufen, bis die Maus neben einem Busch stehen blieb. Sie vergewisserte sich, dass sonst niemand in der Nähe war, dann zog sie den Busch zur Seite. Es war ein falscher Plastikbusch! Dahinter war ein großer bunter Stein. Die Maus klappte den Stein nach oben und darunter kam eine Treppe zum Vorschein.

»Kommt schnell rein«, zischte die Maus.

Der Hase und der Drache kletterten in das Versteck. Die Maus zog den Busch zurück an seine Position und klappte die als Stein getarnte Luke wieder zu. Niemand hatte sie gesehen. Also zumindest kein Dinosaurier. Tatsächlich saß eine Eule auf einem Baum in der Nähe und hatte die drei doch beobachtet. Aber ihr waren die Dinosaurier mit ihren Farben egal und sie würde ihnen nichts verraten. An der Maus hatte sie auch kein Interesse, denn sie war Vegetarierin. Aber wenn man große Augen hat und gut in der Dämmerung sehen kann, dann beobachtet man eben gerne. Einfach nur so, zum Spaß.


Der Hase und der Drache kletterten die Treppe hinunter in das Geheimversteck. Es war eine kleine Höhle, die gemütlich eingerichtet war. Im Gegensatz zum Regenbogen-Dinosaurierland war aber alles ganz normal und nicht kunterbunt. Auf dem Holzboden lag ein dunkelgrüner Teppich und die Couch war einfach braun. Nur die Bilder an den Wänden waren farbig, und zwar richtig!

»Boah, das sind ja geniale Bilder!«, rief der Hase, der auch gleich begeistert ein Stück näher hoppelte, um die Bilder aus der Nähe betrachten zu können. Es waren Gemälde von allen möglichen Sachen: ein verregneter Sommerstrand, ein welker Blumenstrauß, eine schrullige Mäusefamilie, ein düsterer Herbststurm und eine dreckige Stadt im Mondlicht. Das waren eigentlich ganz normale Sachen, doch die Bilder hatten eine ganz besondere Magie an sich. Sie leuchteten und waren einfach viel mehr als nur Farbe auf einem Blatt Papier. Wenn man sie betrachtete, sah man nicht ein Bild, sondern die Sache selbst, und zwar so, wie sie wirklich war. Es fühlte sich an, als wären sie ein kleines Fenster, durch das man seinen Kopf in eine andere Welt stecken kann. Einfach unglaublich.

»Es freut mich, dass dir meine Bilder gefallen«, sagte die Maus. Sie lächelte. »Wollt ihr etwas Tee?«

Tee war eine gute Idee. Der Hase hatte auch langsam wieder Hunger. Also setzte die Maus einen Wasserkessel auf den Herd und holte Tassen aus einem Regal.

»Hast du die ganzen Bilder gemalt? Die sind wunderbar! Und sie haben so geniale Farben!«, sagte der Hase. Seine Augen leuchteten vor Bewunderung. Er wollte gerne auch einmal ein so guter Künstler werden.

Die Maus wurde etwas rot. »Ja, die sind von mir. Die Farben übrigens auch. Die mache ich selbst, weil bei den Dinosauriern gibt es so welche ja nicht.«

»Der Typ im Laden meinte irgendwas von ›unreinen Farben‹, weißt du, was das soll? Wir dachten, hier im Regenbogen-Dinosaurier-Land gibt es alle möglichen und auch unmöglichen Farben«, sagte der Drache. Er hatte nicht so sehr einen Blick für Kunst, wie der Hase, aber die Bilder der Maus gefielen ihm auch gut. Sie waren bunt, aber nicht so »hey, wir haben viele Farben« bunt wie die Steine und Pflanzen oben. Die Bilder sagten eher »Das Leben ist voller Überraschungen und es ist okay nicht perfekt zu sein.«

Die Maus schaute etwas traurig. »Ja, ich weiß«, sagte sie, »die Dinosaurier mögen zwar Farben, aber es müssen reine Farben sein. Sie haben auch ein System mit Nummern und so. Für sie sind Farben etwas, dass die Welt sortiert, das Ordnung schafft. Deswegen versuchen sie, jede Farbe zu katalogisieren. Aber das geht nicht. Die Welt ist bunt und vielseitig. Zwischen zwei Farben gibt es immer noch eine Zwischenfarbe. Das können sie aber nicht kontrollieren, also haben sie irgendwann einfach angefangen alle Farben zu verbieten, die nicht in ihr System passen.«

»Das erklärt, warum Eddie sauer wurde, als ich nach dem Meerjungfrau-Schiller-Rosa-Grün gefragt habe«, sagte der Drache.

Die Maus lachte. »Schillerndes Rosa-Blau-Grün passt auf keinen Fall in das Dinosaurier-System, die ist so was von verboten!«

Okay, verstanden. Aber der Drache hatte noch eine andere Frage: »Weißt du auch, wieso die immer wieder ein Problem damit hatten, dass wir nur eine Farbe haben?«

Die Maus lächelte und sah gleichzeitig etwas traurig aus: »Wie würdest du es finden, wenn dir jemand begegnet, der nur eine einzige Eigenschaft hat?«, fragte sie.

Der Drache runzelte die Stirn. »Du meinst, weil wir nur eine Farbe haben, denken sie, dass wir nur eine Eigenschaft haben? Also, ich bin zum Beispiel immer nur hungrig und der Hase ist einfach nur flauschig und sonst nichts?«

Die Maus nickte. »Ja genau. So sehen sie die Dinge. Durch die Farben versuchen sie, allem Tiefe zu geben, weil sie die wahre Vielfalt nicht erkennen können.«

»Die armen«, sagte der Hase. Er bewunderte noch immer die Bilder der Maus und hatte nur halb der Erklärung zugehört. Aber die Vorstellung, dass die Dinosaurier nur eine grobe Idee der Wirklichkeit durch ihre Farben auf alles drauf pinselten, war wirklich deprimierend.«

Zum Glück war der Tee jetzt fertig und die Maus stellte für alle eine Tasse auf den Tisch vor der Couch. Mit Tee wird immer alles etwas besser.

Die Maus nippte an ihrer Tasse. Dann sah sie zum Drachen. »Sag mal, du brauchst Meerjungfrau-Schiller-Rosa-Grün?«

»Ich nicht, aber der Hase«, sagte der Drache.

»Verstehe.« Die Maus stellte die Tasse ab und ging zu ihrer Werkbank, die eigentlich auch aus schlichtem Holz war, wie der Boden, aber sie war von oben bis unten mit Farbklecksen übersät. Genaugenommen waren also die Bilder nicht das einzig Bunte in der Höhle. Aber egal. Die Maus kramte jedenfalls etwas herum. Sie hatte noch viel mehr Stifte und Farbkästen als der Hase. »Irgendwo müsste ich noch welches haben«, sagte sie. »Ah, genau, hier.« Sie zog einen Buntstift aus einem Stifthalter und hielt ihn dem Hasen hin. »Meintest du so eine Farbe?«

Der Hase konnte es nicht glauben. Das war ein Buntstift mit schillerndem Rosa-Blau-Grün und Silberglanz! »Das ist ganz genau die Farbe, die ich gesucht habe!«, rief er.

»Du kannst ihn gerne haben, mein Meerjungfraubild ist schon fertig«, sagte die Maus und gab dem Hasen den Stift. »Brauchst du noch andere Farben?«

»Nur noch Rosa-Blau-Schimmergold und Regenbogenschwarz«, antwortete der Hase. Er hielt seinen neuen Stift verliebt in der Hand und streichelte ihn ein wenig.

Die Maus grinste. »Sag bloß, du malst einen Meerjungmann und eine Einhornkatze, die vor Sonnenaufgang heiraten?«

»Woher weißt du das?«, fragte der Drache verblüfft. Jetzt war er es, der sich umschaute, ob sie jemand beobachtete. Was das vielleicht ein Streich?

Die Maus lachte. »Na, regenbogenschwarz sind nur Einhornkatzen und Rosa-Blau-Schimmergold braucht man für romantischen Morgenhimmel kurz vor Sonnenaufgang. Dass es eine Hochzeit ist, habe ich geraten, aber was sollen die auch sonst unter so einem Himmel machen?« Sie kletterte auf eine kleine Leiter vor einem Regal. Das war wie bei Eddie mit vielen Farben, Kisten und Schachteln vollgestopft. Sie zog eine Kiste heraus und wühlte darin herum. »Das Rosa-Blau-Schimmergold haber ich auf jeden Fall auch da. Das ist ja ein Klassiker.«

»Was ist mit dem Regenbogen-Schwarz?«, fragte der Drache. Er war erleichtert, dass sie offenbar doch noch alle Farben gefunden hatten. Denn auch wenn der Hase tapfer war und gesagt hatte, dass er auch den Hund vom Hotdog-Stand malen könnte, er wäre bestimmt einige Tage traurig gewesen.

»Regenbogen-Schwarz hab ich nicht, weil ich noch nie eine Einhornkatze gemalt habe. Das ist aber kein Problem. Die Farbe kann man leicht herstellen. Ich mach euch gleich welche.«

»Boah, das ist voll lieb von dir!«, rief der Hase. »Da werde ich dir auf jeden Fall auch ein Bild von dir malen, versprochen!«

Die Maus kicherte. »Na, wenn du genug Grau hast …«

Natürlich hatte der Hase graue Stifte. Und er würde ein Bild der Maus in den buntesten Grautönen malen, die man je gesehen hatte. Ehrensache.

Die Maus machte also noch einen Regenbogen-Schwarz Stift für den Hasen, während ihre neuen Freunde auf der Couch saßen und Tee tranken. Sie unterhielten sich noch ein wenig und der Hase bedankte sich tausend Mal für die Stifte. Die Maus meinte aber, dass das nicht der Rede wert sei. Sie unterstütze doch gerne eine andere Künstlerseele und wünschte dem Hasen viel Erfolg mit dem Hochzeitsbild. Dann verabschiedeten sie sich und die beiden machten sich auf den Nachhauseweg, denn es war wirklich schon sehr spät.


»Zum Glück hattest du eine Großtante, die Künstlerin war«, sagte der Hase, als sie wieder in der Rakete saßen und der Drache den Ofen anheizte. »Sonst hätten wir nie Jenny und die nette Maus kennengelernt.«

»Du kannst ja gerne ein Bild von ihr malen«, schlug der Drache vor.

Die Idee gefiel dem Hasen. »Mach ich. Welche Farbe hatte deine Großtante denn?«

»Sie war grün.«

»Mehr 163 grün oder 171?«, fragte der Hase und grinste frech.

»Oh, da bin ich mir ganz sicher«, sagte der Drache, »sie war auf jeden Fall regenbogen-grün!«

Anmerkungen

  1. Die Katze war eine Metakatze. Metakatzen beobachten Geschichten ganz genau und manchmal tauchen sie dann auf und sagen etwas. Die orange Metakatze interessiert sich sehr dafür, wenn man etwas in einer Geschichte macht, das in Wirklichkeit nicht funktionieren würde. Sie findet das gut und deswegen ist sie hier aufgetaucht.
  2. Das sagt man nur so. Es gibt keine bunten Hunde und wenn es sie gäbe, würden sie nicht in Augen springen. Eigentlich soll es nur bedeuten, dass der Hügel so bunt war, dass man ihn sofort gesehen hätte. In Geschichten sagt man Dinge manchmal etwas komplizierter, besonders, wenn man ein Magier ist.