Koboldland

Der Putzteufel
Eine Geschichte mit dem Zauberer und dem Besen von Simon Heese

Es war einmal ein verzauberter Besen, der lebte in einem hohen bunten Turm. Eigentlich war es nicht sein Turm, sondern der eines Zauberers. Auch der Besen gehörte dem Zauberer. Er hatte ihn nämlich verzaubert, weil er, also der Zauberer, keine Lust hatte, selbst zu putzen. Das Problem war, dass der Besen auch keine Lust hatte auf Hausarbeit. Er mochte viel lieber Serien schauen und mit der Zahnbürste abhängen. Weil sich Zauberer einfach ein Zimmer herbeizaubern können, wenn sie eines brauchten, war der Turm ziemlich hoch und es gab eigentlich sehr viel zu putzen. Das war dem Besen aber egal.

Eines Tages reichte es dem Zauberer. Er war auf der Treppe zu seinem Studierzimmer auf einem alten Marmeladenbrot ausgerutscht und hätte sich fast ein Bein gebrochen. „Au, verflixt! Jetzt reicht es aber!“, schimpfte der Zauberer. „Besen? BESEN! Wo ist der Lümmel schon wieder?“ Der Besen hörte nichts, denn er war ungefähr zehn Stockwerke weit weg, natürlich im Fernsehzimmer. Der Zauberer wusste schon, wo er ihn finden würde und ging nach oben.

Etwas außer Atem kam er schließlich im Fernsehzimmer an. Der Besen saß mit der Zahnbürste und dem Toaster auf der Couch und schaute eine Serie mit Raumschiffen und Mäusen. Der Zauberer war noch immer sauer und zauberte den Fernseher aus.

„He! Wir wollten das aber noch gucken!“, beschwerte sich der Besen.

„Ihr sollt mir im Haushalt helfen!“, schimpfte der Zauberer mit rotem Kopf. „Hier sieht es aus, wie im Saustall! Ich hab’ doch nicht 40 Jahre Zauberei studiert, um jetzt selbst zu putzen!“ Da hatte er natürlich einen Punkt. Andererseits kann jeder beim Haushalt helfen, weil ja auch jeder was dreckig macht. Das Marmeladenbrot zum Beispiel hatte der Zauberer selbst auf die Treppe gelegt, als er vor ein paar Tagen beim Frühstück die Idee gehabt hatte, dass Sterne in Wahrheit kleine Feuerbälle waren. Die Idee fand er so gut, dass er sofort in sein Astronomiezimmer hochgelaufen ist. Auf dem Weg hatte er noch ein Notizbuch und magische Linsen für sein Teleskop geholt. Das war dann zu viel auf einmal, sprich, er hatte beide Hände voll. Und was macht man, wenn man die Hände voll hat? Man legt natürlich zuerst das weg, was man am wenigsten braucht, in diesem Fall das Marmeladenbrot. Da er es selbst hingelegt hatte, wäre es auch richtig gewesen, wenn er das Brot später wieder selbst weggeräumt hätte. Hatte er aber nicht, weil er direkt nach seiner Entdeckung zu einem befreundeten Zauberer fliegen musste, um ihm von den Feuerbällen zu erzählen.

Auf jeden Fall war der Zauberer der Meinung, dass es die Aufgabe des Besens war, liegengebliebene Marmeladenbrote zu beseitigen. „Schau mal hier, was für ein Mist“, schimpfte er daher und zeigte auf das Brot, das noch immer an seinem Fuß klebte.

„Sind das neumodische Schuhe?“, fragte der Besen, „ich habe ein Video gesehen, dass sie in der Stadt jetzt Schuhe haben, die so dünn sind, wie Papier.“

„Nein, das ist kein Schuh, das ist ein Marmeladenbrot“, sagte der Zauberer genervt.

„Damit würde ich aber nicht rausgehen. Und du solltest dir an den anderen Fuß auch eins kleben“, meinte der Besen, „Es sieht komisch aus, wenn du nur an einem Fuß eins hast.“

„Soll ich dir noch eins machen?“, bot der Toaster an. Er war nicht ganz so faul, wie der Besen und machte gerne Brote für den Zauberer.

Dem Zauberer wurde es langsam zu bunt.[1] „Das ist KEIN Schuh! Das ist nur ein Brot, das auf der Treppe lag. Wieso macht denn hier keiner Ordnung?“, rief er. Der Besen hatte keine Schultern, aber hätte er welche gehabt, hätte er jetzt mit ihnen gezuckt. „Keine Ahnung“, sagte er, „wieso machst du denn nie Ordnung?“

Jetzt reichte es aber wirklich. Das Gute an Verzauberungen ist, dass man die meisten von ihnen wieder ändern kann. Und das machte der Zauberer jetzt auch. Er änderte die Verzauberung des Besens so, dass er wirklich putzen wollte. Also richtig gründlich und die ganze Zeit.

„Hier ist es aber dreckig!“, rief der Besen sofort und fing an zu putzen. „Na also, geht doch“, sagte der Zauberer zufrieden. „Toaster, Zeit für das Abendbrot. Zahnbürste, halt dich bereit. Nach dem Essen will ich direkt Zähne putzen und ab ins Bett.“

Es ist schön, wenn alles klappt. Besonders, wenn andere für einen arbeiten. Zauberer sind von Natur aus bequem, manche sogar etwas faul. Deswegen studieren sie ja Zauberei, weil sie nach dem Studium alles zaubern können und nichts mehr mit der Hand machen müssen. Also abgesehen vom Zaubern, bei dem man auch seine Hände braucht, aber das ist was anderes. Zufrieden mit sich und der Welt im Allgemeinen aß der Zauberer seine Stulle, die ihm der Toaster sofort gemacht hatte. Er ließ sich von der Zahnbürste die Zähne putzen und dann ging er ins Bett. Das Bett war logischerweise auch verzaubert und deckte ihn zu.

In der Nacht träumte der Zauberer, dass er neue Schuhe aus Käse hatte und von einer wilden Horde hungriger Mäuse verfolgt wurde. Zum Glück konnte er sich einen Katzenbesen herbeizaubern, der dann alle Nagetiere verjagte. Es ist toll, wenn man auch im Traum zaubern kann.


Am nächsten Morgen stand der Zauberer gut gelaunt auf … und rutsche direkt aus! „Aua! Was ist denn das?“, rief er überrascht. Der Boden vor seinem Bett war spiegelglatt poliert. Vorsichtig robbte der Zauberer zurück zu seinem Bett und zog sich daran hoch. Der ganze Fußboden war blitzeblank und glänzte in der Morgensonne. Der Zauberer überlegte. Hatte er einen Traum gehabt und vielleicht im Schlaf gezaubert? Nein, er hatte doch von Käseschuhen geträumt. Könnte es ein Schabernack der Hexe sein? Unwahrscheinlich, sie liebte Schmutz und ein so sauberer Boden wäre für sie viel zu grässlich. Dann fiel es ihm wieder ein: Er hatte die Verzauberung des Besens hochgestellt auf maximale Putzleistung! Oh weh, das war wohl zu viel des Guten gewesen.

Okay, jetzt keine Panik. Zuerst zauberte er sich ein Paar Schuhe mit Saugnäpfen an der Sohle. Mit denen konnte man auch auf dem glattpolierten Boden laufen. Klappte prima. Dann wollte er die Treppe nach oben gehen, um zu schauen, wie schlimm es in den anderen Zimmern war, da kam ihm schon die Zahnbürste entgegen gesaust: „Huuuuuiiiiii!“, rief sie begeistert und schlitterte an ihm vorbei ins Erdgeschoss. „Ui ui ui uiiii!“ Das waren ein paar Zauberbücher, die auch die Treppe runterrutschten und der Zahnbürste dicht auf den Fersen waren. Der Zauberer schnappte sich gerade noch so das letzte der Bücher. „Was ist denn hier los?“, fragte er das Buch. Das schaute ihn etwas schuldbewusst an: „Wir machen Wettrutschen mit der Zahnbürste“, sagte es und wurde rot. Die Bücher wussten, dass sie eigentlich im Regal bleiben sollten. Früher waren ein paar von ihnen sogar abgehauen und der Zauberer musste sie stundenlang im Wald wieder einfangen. Jetzt hatten alle Fenster im Turm Kindersicherungen. Besonders in der Pubertät waren Zauberbücher sehr wild. Mit zunehmendem Alter wurden sie dann zum Glück ruhiger und nach ein paar Jahren standen sie schließlich die meiste Zeit einfach brav im Schrank, wie ganz normale Bücher.

„Zahnbürste!“, rief der Zauberer die Treppe hinunter, „komm doch bitte einmal her.“

„Was ist?“, kam die Antwort von unten.

„Komm hoch, ich will nicht so schreien“, rief der Zauberer. Er wartete, bis die Zahnbürste wieder die Treppe hochgehüpft kam. „Wir haben nur Rutsche gespielt“, sagte sie sofort zu ihrer Verteidigung. „Das kann ich sehen. War das etwa der Besen? Der Boden ist ja sauglatt.“ Die Zahnbürste nickte: „Ja, der Besen hat wie ein Wilder die ganze Nacht lang geputzt. Cool, oder?“ Der Zauberer fand das nicht so toll. Auch wenn es echt witzig aussah, wie seine Bücher die Treppe als Rodelbahn missbrauchten, in seinem Alter waren die Knochen nicht mehr stabil genug für Wettrutschen auf einer Treppe. „Bis wie weit oben hat er denn saubergemacht?“, fragte er die Zahnbürste. „Na, alles. Der ganze Turm ist von unten bis oben blitzsauber.“ Hui. Da war die Verzauberung aber ordentlich übers Ziel hinausgeschossen. „Und wo ist der Besen jetzt?“, wollte der Zauberer wissen. Die Zahnbürste hatte auch keine Schultern und zuckte einfach so: „Weiß ich nicht. Er ist raus gegangen, als er hier mit allem fertig war. Hat die ganze Zeit gemurmelt: ‚Muss putzen, ist alles viel zu schmutzig‘. Er hatte mit uns geschimpft, als wir Eishockey im Badezimmer gespielt haben. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Ist mit ihm alles in Ordnung?“

Das fragte sich der Zauberer allerdings auch. Er mochte seinen Besen ja eigentlich so, wie er war. Nur gestern war er eben sauer gewesen, wegen des Marmeladenbrots. „Wir sollten schauen, wo er ist“, sagte der Zauberer, „und wir müssen was machen mit dem Boden, bevor sich jemand was bricht.“

Aber zuerst stapfte der Zauberer mit seinen Saufnapfschuhen hoch in die Küche. Mit leerem Magen löst man nämlich keine Probleme. Auch die Küche war so sauber wie noch nie. Selbst als sie frisch gezaubert war, war sie dreckiger gewesen. „Guten Morgen. Macht ihr mir bitte Frühstück und einen Kaffee?“, sagte der Zauberer zur Küche.

„Schau mal, ich bin super sauber!“, begrüßte ihn der Mülleimer, „Willst du vielleicht heute von mir essen? Ich wäre so gerne einmal der Tisch.“ Der Mülleimer glänzte tatsächlich und war einwandfrei geputzt. Aber von ihm essen wollte der Zauberer trotzdem lieber nicht. „Du bist ein ganz toller Mülleimer, aber als Tisch kann ich dich leider nicht benutzen. Äh, meine Knie … du weißt schon.“ Das verstand der Mülleimer, aber fragen kann man ja mal.

Nach dem Frühstück war wenigstens die Küche wieder etwas krümelig. Wie könnte er nur den Rest des Turms wieder weniger sauber bekommen? Zumindest so weit, dass man keine Saugnäpfe an den Schuhen brauchte. Der Zauberer ging hoch in sein Studierzimmer. Im Buch Alles was man als Zauberer wissen muss stand leider nichts dazu, wie man einen viel zu sauberen Turm wieder dreckig bekam. Auch im Ratgeber 1000 Tipps und Tricks für den modernen Zauberhaushalt standen nur Verzauberungen und Tränke drin, die dabei halfen, dass ein Turm nicht zu dreckig und chaotisch wurde. Keiner der Tipps berücksichtige die Möglichkeit, dass jemand zu viel sauber machen könnte. In seinen Büchern würde er also keine Lösung für das Problem finden. Etwas in dieser Art war vorher einfach noch nie passiert, folglich hatte auch keiner aufgeschrieben, was man dann macht.

Der Zauberer überlegte. Schließlich kam ihm eine gute Idee: Die Hexe war doch Expertin im Dreckigmachen. Die konnte bestimmt helfen. Also stapfte er nach unten zum Telefon.

„Kannst du bitte die Hexe anrufen?“, fragte er. „Klar“, sagte das Telefon und wählte die Nummer. Es klingelte. Es klingelte ziemlich lange. Die Hexe mochte Telefone eigentlich nicht und ging deswegen normalerweise auch nicht dran. „Ja, hallo, hier bei der Hexe?“, meldete sich jemand. „Hallo, ich bin’s, der Zauberer, äh, wer ist da? Ich wollte die Hexe sprechen.“ „Hier ist das Einhorn. Warte, ich hol’ sie.“ Man hörte es rascheln und klappern. Der Zauberer wartete, dann hörte er es im Hintergrund bei der Hexe brabbeln: „Neumodischer Quatsch, diese Telefone, wer will denn was von mir? Hab zu tun. Was denken die Leute denn? Rufen einfach so an …“ Dann wurde der Hörer geräuschvoll aufgenommen und die Hexe meldete sich: „Ja, was ist?“

„Ja, hallo, ich bin’s. Also äh, ich hätte da ein Problem“, sagte der Zauberer, der nicht sicher war, wie er der Hexe erklären sollte, was passiert war. Die beiden hatten sich in letzter Zeit ein wenig angefreundet, aber traditionell waren Hexen und Zauberer eher Rivalen. Das heißt, dass man es blöd findet, wenn ein anderer etwas besser kann, als man selbst – in dem Fall: Besser zaubern. „Was denn?“, fragte die Hexe. Jetzt gab es kein Zurück mehr. „Äh, also, naja … mein Turm ist viel zu sauber …“, fing der Zauberer an. „Das ist er doch immer!“, stellte die Hexe fest. Sie selbst machte ihr Haus täglich mehrere Stunden lang dreckig. Eine gut gemachte Dreckschicht ist extrem wichtig bei einem Hexenhaus. Da reicht es nicht, einfach zu warten, bis es von alleine dreckig wurde. Man musste schon richtig dran arbeiten. „Ich weiß, aber jetzt ist es so richtig sauber. Weißt du, so wenn alles glänzt und funkelt. Der Boden ist spiegelglatt! Die Zahnbürste hat sogar schon Eishockey darauf gespielt.“ Am anderen Ende der Leitung war nur Rauschen zu hören.

„Igitt, das ist ja schrecklich“, sagte die Hexe schließlich und man hörte, wie sie sich ekelte.

„Was kann ich da nur tun?“, fragte der Zauberer verzweifelt. Für die Hexe lag die Lösung auf der Hand: „Na, du musst es wieder dreckig machen.“

An solchen Antworten merkt ihr, dass die Hexe nicht vierzig Jahre lang studiert hatte – sie schwafelte nicht um den heißen Brei, sondern sagte, was Sache war.

„Ja, schon klar, aber wie? Der ganze Turm ist komplett geputzt“, sagte der Zauberer.

Jetzt verstand die Hexe, was er ihr damit sagen wollte: Er brauchte eine genaue Anleitung. Diese trotteligen Zauberjungspunde, die konnten sich einfach nicht klar ausdrücken, und auch sonst hatten sie vom Leben fast keine Ahnung. Aber die Hexe wollte mal nicht so sein, also gab sie ihm konkrete Tipps für Anfänger: „Am besten geh mit Gummistiefeln raus und springe in viele Matschepfützen. Wenn du Kuhfladen hast, um so besser. Die müssen aber frisch sein, getrocknete funktionieren nicht. Dann gehst du mit den Stiefeln wieder rein und läufst überall herum. Am besten auch auf deine schrecklich bunten Teppiche.“ Die Hexe überlegte kurz, dann fuhr sie fort: „Deine Sachen schauen doch gern dieses bescheuerte Fernsehdings, oder? Lass sie dabei Chips essen! Danach hast du im ganzen Zimmer prima Krümel und mit ihren Fingern machen sie total schöne Fettflecken.“ Das war eine hervorragende Idee. Der Hexe fielen noch ein paar weitere gute Ratschläge ein, die sich der Zauberer alle notierte. Wenn es darum ging, ein Haus professionell dreckig zu machen, war sie die Meisterin. Zum Schluss hatte sie noch den genialsten Tipp von allen: „Am besten mach eine Party. Sag einfach, du hast Geburtstag oder so. Besorg’ Getränke mit sehr viel Zucker drin und noch mehr Knabberzeug. Dann sagst du allen, sie können gerne noch wen mitbringen. Es ist wichtig, dass viele Leute kommen, die du nicht kennst. Ich verspreche dir, danach wirst du deinen Turm nicht mehr wiedererkennen.“ Der Zauberer kratzte sich am Kopf. „Äh, woher weißt du das? Hast du so was schon gemacht? Du magst doch gar keine Gäste und erst recht keine Parties.“ Das stimmte. Die Hexe war echt kein Partymensch. „Ich hab’ das Einhorn einmal eine Party machen lassen“, erklärte sie, „Es war schrecklich. So viele Leute und alle hatten gute Laune. Ganz schlimm … Aber: Der Saustall danach war unfassbar gut! Du glaubst nicht, was Leute machen, wenn sie als Partygast bei jemandem sind, den sie nicht kennen. Ich musste jedenfalls danach wochenlang nicht mehr dreckigmachen.“

Das klang nach einem guten Plan, so würde er es machen. Der Zauberer bedankte sich bei der Hexe und sie wünschte ihm viel Glück. Dann legte sie auf.

„Morgen machen wir eine Party“, sagte der Zauberer zum Telefon, „Ruf bitte jeden an, den wir kennen und sag’ allen, sie sollen Freunde mitbringen. Ach, und sag’ ihnen auch, dass es gut wäre, wenn sie Gummistiefel anziehen.“

Das war also geregelt. Morgen nach der Party, wäre der Turm wieder dreckig genug, um auch ohne Saugnapfschuhe laufen zu können. Jetzt musste er nur noch den Besen eingefangen.


Der Zauberer zog seinen Mantel an und öffnete die Eingangstür. Oh je, der Besen hatte auch draußen nicht aufgehört zu putzen. Der Weg, der vom Zaubererturm den Hügel hinab zum Dorf führte, glänzte blitzeblank in der Morgensonne. „Boah, cool! Das ist ja eine noch bessere Rodelbahn, als die Treppe!“, rief die Zahnbürste mit leuchtenden Augen. „Stimmt“, gab der Zauberer zu. Und der Weg war auch nicht so holprig, wie die Treppenstufen. Da könnte er es eigentlich wagen …

Man ist immer so alt, wie man sich fühlt. Das gilt im Prinzip auch für Zauberer.[2] Der Rücken des Zauberers sagte, dass er schon sehr alt war, aber das Herz fand, dass sie jung und wild sind und nicht auf den ollen Rücken hören sollten. Der Zauberer hörte auf sein Herz und holte seinen fliegenden Teppich. „Kommst du mit?“, fragte er die Zahnbürste. Natürlich wollte sie mitkommen!

Sie legten den Teppich auf den glatt geputzten Weg und setzten sich drauf. „Bist du bereit?“, fragte der Zauberer. Die Zahnbürste war so was von bereit: „Klar, rutsch los!“

Der Weg war mindestens genauso glattgebürstet, wie die Treppe – es war die perfekte Teppichrodelrennstrecke. „Baaaahn frei!“, rief die Zahnbürste begeistert, als sie rasant den Hügel hinunter sausten. Ein paar Kaninchen retteten sich gerade noch so mit einem Sprung zur Seite. Der Zauberer lenkte: Links, rechts, links, rechts, rechts, links. Bei einer besonders engen Kurve wären sie sogar aus der Bahn geflogen, aber zum Glück war es ja ein fliegender Teppich, also flogen sie einfach wieder zurück auf den Weg und weiter ging der wilde Ritt.

Es war ein Riesenspaß und schon kurz darauf kamen sie im Dorf an. Der Weg war noch immer spiegelglatt und sie waren viel zu schnell. „Wir sollten irgendwie anhalten!“, rief die Zahnbürste. Leichter gesagt, als getan. Der Zauberer versuchte zu bremsen, aber sie schlitterten einfach weiter. Also zauberte er einen Sack Sand, den er dann vor ihnen auf die Bahn streute. Funktionierte prima, der Teppich wurde langsamer und kam schließlich knirschend zum Stehen.

„Wieso hast du keinen Sand im Turm verwendet?“, fragte die Zahnbürste. Der Zauberer lachte: „Warum sollte ich Sand nehmen, wenn ich Saugnapfschuhe haben kann?“ Guter Punkt, die Schuhe waren sehr viel cooler. Fast so cool wie Marmeladenbrote.

Den Besen zu finden war einfach: Sie folgten einfach der blankgeputzten Spur, bis sie zu einer Kreuzung kamen. Dort hatten sich schon sehr viele Dorfbewohner versammelt. „Fangt ihn ein, den Putzteufel!“, riefen manche von ihnen oder: „In meinem Haus ist es spiegelglatt!“ Andere waren aber auch sauer, weil bei ihnen Zuhause noch alles dreckig war. „Er soll als nächstes zu mir kommen!“, riefen sie. Eine Frau war richtig wütend: „Hätte ich gewusst, dass es heute einen kostenlosen Zauberbesen gibt, hätte ich gestern nicht das ganze Haus von meinem Mann putzen lassen!“, schrie sie. Sogar die Polizei war schon da.

In der Mitte der Dorfbewohner stand der Besen und er sah ziemlich mitgenommen aus. Seine Borsten waren dreckig und schon total abgescheuert. Er schwitzte und sah sich überfordert um. „So viel Dreck! Was soll ich nur als Nächstes putzen?“, keuchte er verzweifelt. Der Arme, er hatte in einer einzigen Nacht tausend Mal so viel geputzt, wie in seinem ganzen Leben davor. Der Zauberer hatte wirklich Mitleid mit ihm. Er drängelte sich durch die Menschenmenge, bis er neben seinem geschundenen Mitbewohner stand. „Na, du armer, da haben wir es wohl etwas übertrieben“, sagte der Zauberer grinsend und änderte sofort die Verzauberung zurück auf normal.

„Huuuuu, das ist besser“, sagte der Besen und ließ sich auf den Boden fallen. „Tragt mich bitte heim, ich bin fertig für heute“, fügte er noch hinzu, dann schlief er ein. Der Zauberer hob ihn auf und wollte zurück zu seinem Teppich gehen.

„Halt, wo wollen Sie bitte hin?“, fragte ihn ein Dorfbewohner. „Nach Hause, wieso?“, erwiderte der Zauberer höflich. Der Dorfbewohner schaute nicht ganz so freundlich. „Mein Haus ist aber noch dreckig. Ihr Besen soll erst noch bei mir putzen. Das ist sonst total unfair.“ Der Polizist hatte sich in der Zwischenzeit auch einen Weg zum Zauberer gebahnt. „Ist das Ihr Besen?“, fragte er streng. Der Zauberer schaute zum schlafenden Besen in seiner Hand: „Ja, wieso?“, erkundigte er sich. „Aha“, sagte der Polizist, „Dann haben wir ein Problem: Ich habe 23 Anzeigen, wegen Einbruchs, nächtlicher Ruhestörung und unerlaubter Reinigung.“

Der Polizist wusste natürlich, dass man Zauberer nicht so einfach verhaften konnte. Sie konnten sich schließlich einfach in einen Vogel verwandeln und wegfliegen oder noch schlimmer: Sie konnten die Polizisten, die sie verhaften wollten, in Blumen verwandeln und in einen Park pflanzen. Es war dann immer total schwierig, die Kollegen zwischen den echten Blumen wiederzufinden. Deswegen musste man extrem vorsichtig sein. Meistens war es besser, den Zauberer, der oft nur aus Versehen etwas Falsches gemacht hatte, einfach zu ermahnen. In der Regel fand sich dann auch eine Lösung, wie man das Problem wieder mit Zauberei beseitigen konnte.

„Das tut mir wirklich Leid“, sagte der Zauberer. Er war zum Glück sehr nett und hatte nicht vor, den Polizisten in eine Blume zu verwandeln. Aber was sollte er jetzt machen? Die eine Hälfte des Dorfes war sauer, weil die Häuser viel zu sauber waren, die andere wollte, dass bei ihnen auch noch geputzt wird. Der Zauberer zupfte nachdenklich an seinem Bart. „Wie wäre es, wenn wir den restlichen Schmutz einfach besser verteilen?“, schlug die Zahnbürste vor. Sie half ja oft dem Besen beim Putzen und kannte all seine schmutzigen Tricks.

„Super Idee!“, fand der Zauberer, „So machen wir das.“ Er drehte sich zu den Dorfbewohnern und rief: „Passt mal alle auf! Ich verstehe, dass manche von euch gern weniger, andere lieber etwas mehr Schmutz haben wollen. Ich zaubere jetzt für alle Filzpantoffeln herbei, okay? Die zieht ihr an und lauft dann einfach die ganze Woche überall damit herum. So verteilt sich der übrige Schmutz gerecht im Dorf.“ Er wartete nicht, was die anderen davon hielten, sondern zauberte einfach einen Berg Filzpantoffeln in sehr vielen bunten Farben herbei. „So erledigt“, sagte er zum Polizisten und ging weiter zu seinem fliegenden Teppich. Noch bevor jemand etwas sagen konnte, war er mit dem Besen und der Zahnbürste schon wieder zurück zum Turm geflogen.

Das Schöne an Zaubererlösungen ist, dass sie jeden überzeugen, egal wie bescheuert sie sind. Und so gab es im Dorf auch keine weiteren Diskussionen. Alle zogen sich einfach ein Paar Filzpantoffeln an und liefen damit eine ganze Woche herum. Manche der Bewohner kamen am nächsten Tag sogar zur Party im Zaubererturm und brachten von dort noch etwas neuen Schmutz mit ins Dorf. Bei der Party gab es nämlich sehr viele Chips und die Hexe hatte sogar ein paar Kühe mitgebracht, die brav vor der Eingangstür frische Fladen machten.

So kam es, dass das Dorf nur noch halb so dreckig war, wie eine Woche davor, und der Zaubererturm war einen Tick dreckiger und roch leicht nach Kuh. Das war aber in Ordnung. Der Besen bekam ein entspannendes Zauberbad für seine Borsten und der Zauberer erlaubte ihm sogar, zwei Wochen lang einfach nur Serien zu schauen. Das tat dem Besen so richtig gut und mit Hilfe des Zauberbads war er schnell wieder fit. Erst nachdem sie die Serie mit den Raumschiffen und Mäusen das dritte Mal gesehen hatten, fing er an, sich etwas zu langweilen: „Wollen wir heute etwas putzen?“, fragte er die Zahnbürste. „Klar!“, antwortete seine Freundin, „Du die Küche, ich das Klo, wie immer?“ Der Besen grinste: „Abgemacht, aber verrate nicht dem Zauberer, dass du mir schon wieder geholfen hast.“


Anmerkungen

  1. Das ist nicht wörtlich gemeint. Echte Farben sind Zauberern komplett egal. „Zu bunt“ gibt es bei ihnen nicht. Hier soll das nur heißen, dass der Zauberer die Schnauze voll hatte. Also nicht wirklich voll, denn er hatte das Marmeladenbrot am Fuß und nicht im Mund. Er war eben angefressen. Nein, war er nicht, das Marmeladenbrot war angebissen – am Zauberer hatte keiner geknabbert. Also der Zauberer war sauer … nein, wahrscheinlich nicht wirklich, zumindest würde keiner an einem Zauberer lecken, um zu sehen, ob er süß oder sauer ist. Sprache ist manchmal wirklich kompliziert. Letzter Versuch: Der Zauberer hatte die Faxen dicke. Okay?
  2. Natürlich sind Zauberer nicht mehr jung. Sie müssen immerhin so richtig lange studieren, bis sie lernen, wie man zaubert. Der jüngste Zauberer war 53 Jahre alt, als er mit dem Studium fertig war. Dafür hatte er aber wirklich die ganze Zeit gelernt und war zu keiner einzigen Studentenparty gegangen. Normale Zauberer gingen schon sehr gerne zu Parties, veranstalteten Brettspielabende oder bauten kleine Zauberertürme mit ihren Plastiksteinchen. Das war auch einer der Gründe, wieso sie so lange studierten. Auf jeden Fall waren sie sehr viel weniger erwachsen, als sie mit ihren grauen Bärten aussahen. Unser Zauberer war solch ein normaler Zauberer.